Max - eine Weihnachtsgeschichte
Max ist im Weihnachtsstress. Am 23. stapft er mit seinen Kids in den Wald, um einen Tannenbaum zu schlagen. Das ist Tradition in der Neumannfamilie. Schon mit seinem Vater hat er das immer so gemacht. Sein Ältester, ein echter Wildfang, ist ruckzuck angezogen und springt voraus. Seine Tochter will viel lieber im warmen Wohnzimmer bleiben. Er muss sie überreden, locken, ein wenig drohen – es soll doch auch für sie Teil der Weihnachtstradition werden. Doch so richtig will sich das traditionelle Feeling nicht einstellen. Schon am Eingang des Forsts schallen ihnen die Gesänge einiger glühweinseeliger Männer entgegen. Der Wald ist überfüllt von genervten Familienvätern, zickigen Kinder und der leichten Panik keinen guten Baum mehr zu bekommen. Diese Stimmung schwappt auf sie über. Max bereut, dass er allein mit den Kindern hier war. Während er sich auf das Baumschlagen konzentriert, rennt sein Ältester unentwegt umher und es ist reines Glück, dass er nicht von einem der Bäume erschlagen wird. Seine Tochter hat seit dem Moment vollends die Lust an dieser Aktion verloren, als sie von ihrem Bruder einen Schneeball in den Nacken bekommt. Schätzungsweise ist ihr Unterhemd nass vom schmelzenden Schnee. Doch das kann Max jetzt auch nicht mehr ändern. Er muss diesen blöden Baum schlagen – Tradition ist Tradition.
Als dieser endlich im Auto verstaut ist, die Kids angeschnallt, ruft seine Frau an. Ob er nicht schnell noch was aus dem Supermarkt mitbringen könne, er wäre ja eh gerade unterwegs. Also noch beim Supermarkt gehalten, Kinder abgeschnallt, Einkaufswagen geschnappt, den Ältesten gerade noch vorm Überfahren auf dem Parkplatz gerettet, die inzwischen weinende Jüngste in den Wagen gequetscht und dann ab ins Gedränge. Die Kleinigkeiten, die er mitbringen soll, entpuppen sich als voller Einkaufswagen; die Schlangen an der Kasse waren gigantisch und sein bewegungsliebender Erstgeborener schafft es, das komplette Kaugummiregal leerzuräumen, während sie warteten. Max läuft der Schweiß den Rücken runter.
Endlich sind sie wieder zu Hause, die Einkäufe verstaut, die Kinder vor Youtube stillgestellt, nun geht es daran den Baum aufzustellen. Sobald dieser in der guten Stube steht, entpuppt sich seine völlige Hässlichkeit. Der Stamm ist krumm, am Ende verknorrt – so passt er unmöglich in den Ständer. Eine Seite hatte eine riesige Lücke – und die Spitze ist gespalten. Er muss mit völliger Blindheit geschlagen gewesen sein, als er sich für die Krücke entschieden hatte. Seine Frau fängt an zu weinen.
Irgendwie bekommt Max den Baum in den Ständer, durch geschicktes Dekorieren können sie die Hässlichkeit etwas abmildern. Nun heißt es Kinder baden, ins Bett bringen, letzte Geschenke einpacken und völlig fertig schlafen gehen.
Am 24. Stehen Max und seine Frau um 6 Uhr auf. Beide sind dann den ganzen Tag beschäftigt mit den Vorbereitungen fürs Essen, für den Weihnachtsabend, für die heilige Stimmung, die später herrschen soll. Die Kinder, in einer Kombination aus absoluter Langeweile und riesiger Aufregung, rennen wie aufgezogenen Batteriemännchen durch das Haus. Als der Große am geschmückten Weihnachtsbaum hängen bleibt und dabei eine der mundgeblasenen Kugeln runterschmeisst, setzt Max sie wieder vor Youtube. Wird das die Erinnerung an Weihnachten für sie sein: beschäftigte Eltern und unkontrollierter Zugang zu Youtube?
Schließlich haben sie es geschafft. Alle waren chic und warm angezogen. Seine Eltern kommen pünktlich und sogar Onkel Willi, der immer mit ihnen feiert, hat ein frisches Hemd angezogen. „Gott sei Dank“ flüstert seine Frau ihm zu, „Hoffentlich gilt das auch für die Socken.“ Der Weihnachtsgottesdienst geht fast ohne Komplikationen vorüber. Und als Max seiner Frau gerade ein „Siehst du, jetzt wird es doch noch weihnachtlich“ ins Ohr flüstern wollte, blickt sie ihn kreidebleich an. „Der Ofen läuft nicht“ sagt sie nach einem panischen Blick auf ihrem Handy. „Ich dachte, ich hätte ihn programmiert – aber die App sagt, er ist aus.“
„Bleib mal ganz ruhig. Die App weiß auch nicht alles.“ Versucht Max sie zu beruhigen. Doch von dem Moment an war seine Frau das reinste Nervenbündel. Kaum zu Hause angekommen, rennt sie in die Küche und: Der Ofen war aus. Das Fleisch noch kalt, kein Festmenü in Sicht. Während seine Frau kurz vor der Ohnmacht steht, seine Mutter ein „Ist alles in Ordnung?“ ruft, drängeln die Kinder müde, aufgeregt und hungrig Richtung Tannenbaum, um ihre Geschenke in Empfang zu nehmen.
In dem Moment trifft Max eine Entscheidung. „Kommando zurück.“ ruft er. „Alle wieder anziehen.“ Er ist so entschlossen, dass selbst seine Kinder sofort mitmachen. Kaum sind alle vor der Tür, fragt Onkel Willi: „Wo gehen wir jetzt eigentlich hin?“ „Zu Tarik. Der macht den besten Döner der Stadt.“
Und dann sitzen sie da, in der Dönerbude, auf Plastikstühlen unter blau und grün blinkender Weihnachtsdeko. Im Hintergrund läuft türkische Musik. „Also das ist jetzt aber schon sehr ungewöhnlich für Weihnachten“, sagt seine Mutter während sie versucht den Döner mit Messer und Gabel zu essen.
„Ungewöhnlich genau.“ Antwortet ihr Max. „Alles an Weihnachten ist ungewöhnlich. Dass eine Jungfrau schwanger wird, ist ungewöhnlich. Dass ihr Verlobter sie nicht verlässt, weil ein Engel ihm im Traum von Gottes Plan erzählt, ist ungewöhnlich. Dass Gott Mensch wird, ist ungewöhnlich. Dass er seine schöne glänzende, heilige Welt verlässt und ein kleines verletzliches Baby wird, ist ungewöhnlich. Dass Gott uns liebt, obwohl wir so oft unser eigenes Ding machen und ihn ausschließen, ist absolut ungewöhnlich. Also ich glaube, es gibt für uns keine bessere Art Weihnachten zu feiern, als mal was richtig Ungewöhnliches zu machen.“
Und so wird es plötzlich weihnachtlich. Ein heiliger Abend, während sie Limo aus der Dose schlürfen und ihre Festtagssachen mit Dönerspecialsauce vollkleckern. Eine heilige Atmosphäre entsteht, weil sie ihren Blick auf Gott richten. Sie spüren förmlich, wie nah er ihnen ist. Hier und heute bei Tarik, dem besten Dönermann der Stadt.